Geschäftszeichen: 14 S 12/16 – Datum: 27.09.2016
In der Sache
… ./. Berliner Wasser Betriebe BWB
1. Soweit das Amtsgericht erkannt hat, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit im Mahnverfahren ein Niederschlagswasserentgelt in Höhe von 338,66 € nebst Zinsen geltend gemacht hat, ist das Urteil nicht zutreffend. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Ziffer 1 a ABE vorliegen. Abzustellen für die Frage der Begründetheit des insoweit noch geltend gemachten Feststellungsantrages darauf, ob die Klage bei Rechtshängigkeit zulässig und begründet war. Da das Mahnverfahren nicht alsbald im Sinne von § 696 Abs. 3 ZPO abgegeben wurde, sondern erst lange Zeit nach der Nachricht des Mahngerichts über den Widerspruch der Beklagten und der Anforderung des weiteren Gerichtskostenvorschusses unter dem 6. Februar 2013 nach dessen Einzahlung unter dem 5. November 2015, ist die Klage erst mit der Zustellung der Anspruchsbegründungsschrift am 4. Januar 2016 rechtshängig geworden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin der Beklagten bereits – unter dem 16. August 2013 – die Gutschrift in Höhe von 339,59 € erteilt, wobei die Gutschrift um 0,93 € höher war als die abgerechnete Schuld, und damit im Sinne eines negativen Schuldanerkenntnisses (§ 781 8GB) anerkannt, dass eine Schuld der Beklagten nicht besteht.
Der Klägerin wird aufgegeben, innerhalb von zwei Wochen zu erklären, ob sie insoweit die Klage unter Verzicht auf die Klageforderung zurücknimmt. Der Beklagten wird bereits jetzt vorsorglich aufgegeben, binnen vier Wochen zu erklären, ob sie einer etwaigen Klagerücknahme zustimmt. Dies nicht zu tun, wäre dann wohl treuwidrig, wenn die Rücknahme unter Verzicht auf die Klageforderung erfolgte.
2. Die Parteien werden – auch im Hinblick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO – darauf hingewiesen, dass soweit die Klägerin Zahlung in Höhe von 356,37 € begehrt, bezüglich der Abrechnungszeiträume 1. November 2012 bis 9. Dezember 2013 und 10. Dezember 2013 bis 17. November 2014 nicht ersichtlich ist, was insoweit Gegenstand der Klage ist. Die Klägerin hat auf die für diese Zeiträume geforderten Trinkwasser- bzw. Schmutzwasserentgelte unstreitig jeweils eine Zahlung in Höhe von 336,81 € verrechnet. Unklar ist jedoch, inwieweit damit die Schuld der Beklagten erloschen ist. Maßgeblich dürfte in erster Linie eine von der Beklagten getroffene Tilgungsbestimmung sein. Der Grund dafür, dass die Addition der für sämtliche Abrechnungszeitraume geltend gemachten Trinkwasser- bzw. Schmutzwasserentgelte sich auf 357,30 € beläuft und damit um 0,93 € höher ist als die Klageforderung, ist, dass die Klägerin insoweit bei der Berechnung der Klageforderung den Mehrbetrag der Gutschrift für das Niederschlagswasserentgelt verrechnet. Unklar ist auch insoweit worauf.
3. Soweit die Beklagte eine Überhöhung der abgerechneten Trinkwasserentgelte in Höhe von 426,92 € (Abrechnungszeitraum 6. November 2011 bis 31. Oktober 2012: 136,68 €; Abrechnungszeitraum 1. November 2012 bis 9. Dezember 2013: abzüglich erteilter Gutschriften 154,- €; Abrechnungszeitraum 10. Dezember 2013 bis 17. November 2014: abzüglich erteilter Gutschriften 136,24 €) in nicht genau erkennbarer Höhe geltend macht, die Preisbestimmung der Klägerin sei im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB unbillig bestehen Bedenken gegen die Richtigkeit des amtsgerichtlichen Urteils.
Auch die Beklagte weist auf die Missbrauchsverfügung des BKartA vom 4. Juni 2012 hin, mit der der Klägerin aufgegeben worden ist, die abgabenbereinigten Erlöse aus der Versorgung mit Trinkwasser in Berlin für die Jahre 2012 um 18% und für die Jahre 2013 bis 2015 um durchschnittlich 17% jeweils im Vergleich zu 2011 zu senken. Der Beschluss des BKartA ist bestandskräftig, nachdem die Klägerin die gegen die bestätigende Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 24. Februar 2014 – VI – 2 Kart 4/12 (V) – eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgenommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KVR 29/14). Dies hat gemäß § 33 Abs. 4 GWB zur Folge, dass die für die Entscheidung dieses Rechtsstreits zuständigen Zivilgerichte, an die Feststellung dieses Verstoßes gebunden sind, soweit wegen eines dieser Entscheidung zugrunde liegenden Verstoßes Schadensersatz gefordert wird (vgl. auch Bechtold/Basch, GWB, 8. Aufl., 2015, § 33, Rn. 42 ff.). Zwar macht die Beklagte nicht – einredeweise gegen die Klage und widerklagebegründend – das Bestehen eines Schadensersatzanspruches im Sinne von § 33 Abs. 3 GWB geltend, doch ist ihr Vorbringen, in dem sie sich ausdrücklich auch auf den Beschluss des BKartA bezieht, so zu verstehen, dass sie aus jedem in Betracht kommenden Rechtsgrund sich das Bestehen von Gegenansprüchen bzw. Ansprüchen gegen die Klägerin berühmt (iura novit curia). In diesem Rechtsstreit kommt es daher nicht allein darauf an, ob die von der Klägerin getroffenen Preisbestimmungen im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB billig sind, sondern auch darauf, ob die von der Klägerin geforderten Trinkwasserentgelte im Sinne von § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 GWB 1990 i.V.m. § 131 Abs. 6 GWB 2009 bzw. seit dem Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle am 30. Juni 2013 § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB missbräuchlich überhöht waren. Da dies bestandskräftig festgestellt ist, kommt es nicht auf die der bestandskräftigen Entscheidung des BKartA widersprechenden Erwägungen der Klägerin an.
Die Beklagte wird allerdings vorsorglich darauf hingewiesen, dass erhebliche Bedenken bestehen, ob ihre Einwendungen letztlich durchgreifen, mit denen sie wohl eine deutliche größere Preisüberhöhung geltend macht, als vom BKartA festgestellt. Zwar entfaltet dessen Entscheidung keine Bindungswirkung hinsichtlich der Höhe des Schadens (vgl. Bechtold/Besch, a.a.O., § 33, Rn. 42) und erst recht nicht gegen die Unbilligkeit im Sinne von§ 315 Abs. 3 BGB, doch sprechen erhebliche Bedenken dagegen, dass die Feststellungen in diesem Zivilrechtsstreit erheblich anders aussehen könnten als die des BKartA. Die in Umsetzung des Beschlusses des BKartA erfolgten Gutschriften waren insoweit in jeden Fall zu berücksichtigen. Ferner wäre – jedenfalls im Hinblick auf die Widerklage – ggfs. zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin – um eine Fortsetzung des Missbrauchsverfahren für die Jahre 2009 bis 2011 zu vermeiden – vergleichsweise dazu verpflichtet hat, die Trinkwasserpreise über die Preissenkungsverfügung des BKartA vom 4. Juni 2012 weiter bis 2018 zu senken (vgl. Pressemeldung des BKartA vom 7. Mai 2014 http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2014/07_05_2014_BWB.html;jsessionid=9028122083CB5A770AB78451492DAD24.1_cid362?nn=3591568).
4. Soweit die Beklagte eine Überhöhung der abgerechneten Schmutzwasserentgelte in Höhe von 550,06 € (Abrechnungszeitraum 6. November 2011 bis 31. Oktober 2012: 151,77 €; Abrechnungszeitraum 1. November 2012 bis 9. Dezember 2013: 220,23 €; Abrechnungszeitraum 10. Dezember 2013 bis 17. November 2014: 178,06 €) geltend macht, besteht eine Bindungswirkung gemäß § 33 Abs. 4 GWB nicht. Das Missbrauchsverfahren des BKartA betraf nur die von der Klägerin geforderten Trinkwasserentgelte.
Auch insoweit dürften nach dem Vorbringen der Beklagten aber ebenfalls neben § 315 Abs. 3 BGB auch die Vorschriften des GWB streitentscheidend sein. Die Erwägungen des BKartA und des OLG Düsseldorf zur Anwendbarkeit des Kartellrechts dürften insoweit entsprechend gelten, insbesondere ist die Klägerin auch insoweit als Unternehmen im Sinne des GWB anzusehen, weil sie wirtschaftlich tätig ist und die Leistungsbeziehungen zu ihren Kunden privatrechtlich ausgestaltet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 2014, Rz. 19 ff.). Der Frage, ob Schmutzwasserversorgung – wie die Trinkwasserversorgung – auch in anderen Städten nicht nur von öffentlichen Körperschaften, sondern ebenso von privaten Unternehmen in eigener Verantwortung und ohne öffentlich-rechtliche Beleihung übernommen wird, durfte für die Frage der Anwendbarkeit des Kartellrechts ohne Bedeutung sein. Für die Entscheidung ohne Belang ist es auch, ob die Klägerin im Bereich der Schmutzwasserentsorgung als Wasserversorgungsunternehmen im Sinne von§ 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 GWB 1990 jetzt § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB) anzusehen ist. Der Umstand, dass nach dem Vorbringen der Beklagten nicht ersichtlich ist, dass auch in anderen Städten die Schmutzwasserentsorgung privatrechtlich ausgestaltet ist und es daher – anders als bei der Trinkwasserversorgung – an Vergleichsmärkten fehlt, führt zwar unter Umständen dazu, dass eine Missbrauchskontrolle gemäß § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 GWB 1990 jetzt § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB) nicht in Betracht kommt, doch kommt nicht erst aufgrund der Vorschrift des seit dem Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle am 30. Juni 2013 jedenfalls auf die letzten beiden streitgegenständlichen Abrechnungsperioden anwendbaren § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB, sondern auch nach den zuvor geltenden Vorschriften des GWB auch eine Missbrauchskontrolle aufgrund einer Kostenkontrolle in. Betracht. Dies war auch vor dem Inkrafttreten von § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB über § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB 1990 jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB) bereits möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 15._ Mai 2012- KVR 51/11 – Rn. 15; vgl. auch Bechtold/Besch, a.a.O., § 31, Rn. 25 ff.).
Das Gericht gibt zu bedenken, dass nach den Feststellungen des BKartA und des OLG Düsseldorf zu den Trinkwasserentgelten der Klägerin Einiges dafür spricht, dass auch die von der Klägerin in den streitgegenständlichen Abrechnungszeiträumen geforderten Schmutzwasserentgelte überhöht waren, die auch nach dem Vorbringen der Klägerin nach denselben Grundsätzen wie die Trinkwasserentgelte kalkuliert waren. Die Ermittlung der tatsächlichen Überhöhung dürfte angesichts des Fehlens einer insoweit bindenden Entscheidung unverhältnismäßig aufwendig sein. Es wird daher angeregt, dass sich die Parteien darauf verständigen, dass die Beklagte zwar die Klageforderung bezahlt, dass aber die Klägerin der Beklagten in den Folgeperioden bis 2018 Gutschriften in zwischen den Parteien zu vereinbarender maßvoller Höhe erteilt.
5. Soweit die Beklagte mit der Widerklage die Feststellung der Rückzahlungspflicht der Klägerin für Niederschlagswasserentgelte in Höhe von 339,24 € und 343,36 € geltend macht, ist ungeachtet von Zulässigkeitsfragen jedenfalls materiell-rechtlich angesichts des Umstandes, dass sich die Klägerin für die Folgejahre solcher Anspruche nicht mehr berühmt hat, unklar, warum sie von einer Zahlungspflicht der Beklagten ausgeht. Soweit ersichtlich hat die Klägerin erstinstanzlich nicht bestritten, dass ihr die Anzeige der Beklagten vom 1. April 2009 zugegangen ist. Soweit die Beklagte die Rückzahlung von Trinkwasser- und Schmutzwasserentgelten in Höhe von 292,37 € und 327,44 € fordert, wird auf die vorstehenden Erwägungen Bezug genommen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen, die Klägerin auch zur Berufungsbegründungsschrift vom 22. August 2016. Es wird angeregt, dass die Parteien innerhalb dieses Zeitraums versuchen, unter Berücksichtigung der Hinweise des Gerichts eine gütliche Einigung abzustimmen. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass beim Landgericht Berlin für Kartellsachen eine Sonderzuständigkeit besteht. Von einer Benachrichtigung und Beteiligung des BKartA von bzw. an diesem Rechtsstreit (§ 90 GWB) wird vorerst abgesehen.