Landgericht Berlin

Beschluss

Geschäftsnummer: 537 Qs 47/16

In der Strafsache gegen

geboren am … in …,
….straße , in 1…. Berlin,
wegen gefährlicher Körperverletzung

Verteidiger: Rechtsanwalt Olav Sydow, Mehringdamm 32, 10961 Berlin

hat die 37. große Strafkammer des Landgerichts Berlin am 19.08.2016 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 29.06.2016 zu (277 Ds) 3012 Js 4247/14 (152/14) aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

I.

In der durch Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 9. Dezember 2014 zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 25. August 2014 werden dem Angeklagten mehrere im Oktober 2013 begangene Körperverletzungsdelikte vorgeworfen. Der Vorsitzende terminierte für den 29. Juni 2016 eine Hauptverhandlung und ließ den Angeklagten unter der Anschrift …straße .., 1…. B… mit Zustellungsurkunde laden. Unter dieser Anschrift ist der Angeklagte melderechtlich erfasst. Dennoch wurde die Zustellungsurkunde mit dem Vermerk, der Adressat sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln, zurückgesandt.

Daraufhin wurden einerseits Hausermittlungen und andererseits eine Zustellung der Ladung unter der erwähnten Anschrift über den zuständigen Polizeiabschnitt veranlasst.

Nach dem Zustellungs- und Empfangbekenntnis des zuständigen Polizeibeamten legte dieser die Ladung in den Briefschlitz der Wohnungstür unter der Anschrift in der …straße ein und teilte in einem weiteren Schreiben dem Amtsgericht mit, dass sich nach den Hausermittlungen der Angeklagte nur zeitweise dort aufhalte, regelmäßig komme und sich die Post abhole. Der Aufenthaltsort sei unbekannt.

Der Angeklagte erschien zu der Hauptverhandlung vom 29. Juni 2016 nicht. Das Amtsgericht erließ daraufhin einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO. Gegen diesen wendet sich die Beschwerde des Verteidigers vom 29. Juni 2016.

II.

Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Denn die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO lagen nicht vor.

Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO ist, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ausbleibt. Der Mangel einer genügenden Entschuldigung setzt voraus, dass der Angeklagte ordnungsgemäß gemäß §§ 35 Absatz 2 iVm 217 Absatz 1 StPO zu dem Termin zur Hauptverhandlung geladen wurde. Die Zustellung ist nach § 37 Absatz 1 StPO nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zu bewirken. Grundsätzlich erfolgt die Zustellung durch Übergabe einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks an dem Ort, an dem die Person, der zugestellt werden soll, angetroffen wird, § 177 ZPO. Ersatzzustellungen sind unter den Voraussetzungen der §§ 178, insbesondere 180 ZPO, zulässig. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass die Zustellung an der Wohnung des Zustellungsadressaten erfolgt. Der Zustellungsadressat muss diese Wohnung zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich für eine gewisse Zeit schon und noch bewohnen, d.h. dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt haben. Auf die Meldeverhältnisse kommt es insoweit nicht an (vgl. dazu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, Rdnr. 5, 6, 8, 9 zu § 37 StPO; Kammergericht, Beschluss vom 1. November 2001 zu 2 AR 146/01, bei juris; Kammergericht, Beschluss vom 29. Oktober 2010 zu 3 Ws (B) 508/10 bei juris).

Es soll gewährleistet werden, dass der Adressat sicher und schnell von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine rechtlichen Interessen unverzüglich wahrzunehmen.

So liegen die Dinge hier aber nicht.
Das zuzustellende Schriftstück, die Ladung zu dem Termin zur Hauptverhandlung, wurde dem Angeklagten nicht persönlich übergeben, sondern in den Briefschlitz einer Wohnung eingeworfen, in der er nicht seinen Lebensmittelpunkt hatte, mithin nicht wohnte. Die Hausermittlungen ergaben vielmehr, dass der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist. Selbst wenn er regelmäßig an der Adresse „vorbeikommt“, wie der ermittelnde Polizeibeamte es niedergelegt hat, und seine Post abholt, ist damit eben nicht gewährleistet, dass der Angeklagte sicher und schnell von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt.
Der gemäß § 230 Abs. 2 StPO ergangene Haftbefehl war daher aufzuheben.
Im Übrigen kann daher der Angeklagte auch nicht nach dieser Vorschrift polizeilich vorgeführt werden.

Es bleibt dem Amtsgericht überlassen, im weiteren Verlauf des Verfahrens das Vorliegen der Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO zu prüfen.

III.

Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten, weil sonst niemand dafür haftet.