Leitsatz

1. Eine drohende Unterschreitung des Grenzwertes für die absolute Fahruntüchtigkeit kann Gefahr im Verzug begründen.

2. Ein Verwertungsverbot besteht dann nicht, wenn der verteidigte Angeklagte der Verwertung des Ergebnisses der unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt angeordneten Blutentnahme nicht in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung spätestens zu den in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte in dieser Instanz freigesprochen wurde.

3. Zur Frage der willkürlichen Annahme von Gefahr in Verzug bei einem bloßen Irrtum im Tatsächlichen

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den ihm zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Gründe

I.

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, am ….2009 gegen 16.15 Uhr in Stadt1 mit einem Lkw die ….straße befahren zu haben, obwohl er infolge Alkoholgenusses nicht mehr in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen. Das Amtsgericht sprach ihn von diesem Vorwurf frei. Mit dem angefochtenen Urteil verwarf das Landgericht die dagegen form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Amtsanwaltschaft.

Nach den Feststellungen der Kammer befuhr der Angeklagte am ….2009 gegen 16.15 Uhr in Stadt1 mit dem Lkw …, amtl. Kennzeichen ….die …straße in Richtung … Straße und kollidierte „ohne eigenes Verschulden“ mit einem Taxi, dessen Fahrer aus einer Parkbucht rückwärts auf die Fahrbahn fuhr. Die von dem Taxifahrer herbeigerufene Polizeistreife – POKin P1 und POK P2 – bemerkte, dass die Atemluft des Angeklagten nach Alkohol roch, er aber bis auf eine leichte Gangunsicherheit keine Ausfallerscheinungen aufwies und führte einen Atemalkoholtest mit einem mobilen (nicht geeichten) Gerät durch, der einen Wert von 1,05 %o ergab. Auf dem Weg zur Dienststelle mit dem Angeklagten verständigte POKin P1 über Funk den Dienstgruppenleiter und ging davon aus, dass dieser die richterliche Anordnung eingeholt habe, ohne sich allerdings hierüber zu vergewissern. Die auf ihre Veranlassung – ohne Einverständnis des Angeklagten, ohne richterliche Anordnung und ohne Dokumentation der Gründe für deren Nichteinholung – von einem Arzt um 17.35 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab einen Wert von 0, 99 %o. Der Untersuchungsbericht vermerkte keine Ausfallerscheinungen des Angeklagten. Das Landgericht stellte ferner fest, der Angeklagte habe sich dahin eingelassen, er habe bis 16.00 Uhr 2-3 gespritzte Apfelwein a 0,3 l getrunken, was nach den Ausführungen des Sachverständigen zu einer Tatzeitblutalkoholkonzentration von allenfalls 0,28 %o führe. Der auch erstinstanzlich von einem Rechtsanwalt verteidigte Angeklagte habe der Verwertung des Ergebnisses der Blutentnahme in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht widersprochen.

Das Landgericht hat angenommen, das Ergebnis der Blutprobe sei unverwertbar, so dass wegen der Ungenauigkeit des Messgerätes von einer Tatzeitblutalkoholkonzentration von allenfalls 0, 28 %o auszugehen sei. Es hat das Vorliegen relativer Fahruntüchtigkeit mangels Vorliegen von Ausfallerscheinungen – die Gangunsicherheit könne auf die unfallbedingte Aufregung des Angeklagten zurückzuführen sein – verneint und auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG verneint.

Mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und ausschließlich mit der Sachrüge begründeten Revision rügt die Amtsanwaltschaft, die Kammer habe zu Unrecht ein Beweiserhebungs- und -wertungsverbot hinsichtlich der festgestellten Blutalkoholkonzentration angenommen.

II.

Die erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils. Aufgrund dieser Rüge ist der Senat berechtigt zu prüfen, ob auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Subsumtion des Landgerichts die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes rechtfertigt (BGHSt 51, 285 – zit. nach juris Rn 13; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 261 Rn 38). Dies ist nicht der Fall.

Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots bezüglich der ohne richterliche Anordnung entnommenen Blutprobe – Verletzung des § 81 a II StPO – nicht.

1. Nach ihnen mangelt es bereits am Vorliegen eines Beweiserhebungsverbotes.

Die Anordnung der Blutentnahme darf gem. § 81a II StPO nur durch den zuständigen Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs auch durch die Staatsanwaltschaft und – nachrangig – durch ihre Ermittlungspersonen erfolgen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher grundsätzlich versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutprobe anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (BVerfGE 103, 142; BVerfG [Kammer], Beschluss v. 11.06.2010 – 2 BvR 1046/08 -juris). Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (BVerfG aaO; OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2009 – 2 Ss 117/09 –juris)

Entgegen der Ansicht des erkennenden Gerichts lag nach seinen Feststellungen hier Gefahr im Verzug i.S. von § 81a II StPO vor.

Nicht ausreichend ist hierfür allerdings die bei Nachweis von Alkohol und Drogen typischerweise bestehende abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis erschwert oder gar verhindert wird (BVerfG, Beschl. v. 11.06.2010 – 2 BvR 1046/08 -juris). So wird bei einem höheren Alkoholisierungsgrad, der durch Geruch in der Atemluft, Ausfallerscheinungen und durch hohe Werte einer Atemalkoholmessung zu Tage tritt, der mögliche Abbau in aller Regel so gering sein, dass kurzfristige Verzögerungen, bedingt durch die Einschaltung des Gerichts, mittels Rückrechnung ohne weiteres ausgeglichen werden können (OLG Hamburg, NJW 2008, 2598; wN bei OLG Frankfurt am Main [2. Strafsenat], Urt. v. 23.02.2010 – 2 Ss 407/09). Je unklarer aber das Ermittlungsbild in der Situation oder je komplexer der Sachverhalt als solcher ist und je genauer deswegen die Analyse der Blutwerte sein muss, desto eher werden die Ermittlungsbehörden Gefahr in Verzug annehmen und nötigenfalls ohne richterliche Entscheidung handeln dürfen (OLG Frankfurt a.M. [2. Strafsenat], Urt. v. 23.02.2010 – 2 Ss 407/09; OLG Jena, Beschl. v. 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 – juris und vom 07.12.2009 – 1 Ss 322/09 –juris; OLG Hamburg aaO; OLG Hamm, Beschl. v. 10.06.2010 – III-2 RVs 30/10 mwN). Letztgenannter Fall war hier nach den getroffenen Feststellungen gegeben.

Nach diesen lag der Atemalkoholwert mit 1,05 %o im Grenzbereich zur absoluten Fahruntüchtigkeit. Dass dieser mit einem nicht gerichtsverwertbaren Handgerät ermittelte wurde, ist für die Beurteilung der Dringlichkeit ohne Belang (vgl. hierzu OLG Bamberg, Beschl. v. 16.07.2009 – Ss OWi 755/09 – juris). Bei dieser Sachlage war – aufgrund der drohenden Unterschreitung des Grenzwertes für die absolute Fahruntüchtigkeit – bei weiterer Verzögerung bis zur Einholung der richterlichen Anordnung ein Beweismittelverlust zu besorgen (OLG Frankfurt a.M. [2. Strafsenat], Urt. v. 23.02.2010 – 2 Ss 407/09; OLG Jena, Beschl. Beschl. v. 07.12.2009 aaO; s. auch OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2009 – 2 Ss 117/09 –juris und v. 10.6.2010 – III-2 Rvs 30/10 -juris; OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.12.2008 – 1 Ss 298/08- juris; OLG Bamberg aaO), der innerhalb weniger Minuten eintreten konnte (vgl. OLG Jena aaO), so dass die Polizeibeamten nicht gehalten waren, eine richterliche Anordnung einzuholen.

Dem steht nicht entgegen, dass sich auch im Falle nicht zeitnaher Blutprobe und deren Auswertung durch anerkannte Rückrechnungsmethoden die Blutalkoholkonzentration feststellen lässt. Diese erfolgt nämlich aufgrund bestimmter, zu Gunsten des Angeklagten angenommener statistischer Mindestwerte. Die tatsächlichen Abbauwerte liegen jedoch höher, so dass sich mit zunehmendem Zeitablauf zwischen Tat und Blutentnahme auch die Abweichungen zwischen einem zeitnah gemessenen und einem durch Rückrechnung ermittelten BAK-Wert ergeben (OLG Frankfurt am Main aaO).

Der danach gegebenen Eilkompetenz des ermittelnden Polizeibeamten steht auch die Tatsache, dass die Anordnung der Blutentnahme an einem regulären Arbeitstag innerhalb der üblichen Dienstzeiten erfolgte, nicht entgegen. Dass aufgrund des Vorhandenseins eines richterlichen Bereitschaftsdienstes die richterliche Anordnung ohne jegliche zeitliche Verzögerung hätte getroffenen werden können, ist eine bloße Mutmaßung der Kammer. Denn selbst bei Zugrundelegung eines optimalen Verlaufs und selbst bei einer mündlichen Anordnung durch den Bereitschaftsrichter ist davon auszugehen, dass der zuständige Richter eine relevante Zeitspanne zur Entscheidungsfindung benötigt hätte (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO). Zudem ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall auch ohne Einschaltung des Richters vom Zeitpunkt der Anordnung durch die Polizeibeamtin bis zur tatsächlichen Entnahme bereits eine Stunde verstrichen ist. Eine weitere zeitliche Verzögerung war angesichts des im Grenzbereich liegenden Atemalkoholwertes deshalb zu vermeiden.

2. Auch bei Annahme eines Beweiserhebungsverbotes hätte auf Grund des festgestellten Sachverhalts jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot angenommen werden dürfen.

Nach den getroffenen Feststellungen hat der verteidigte Angeklagte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung der Verwertung des Ergebnisses der Blutprobe nicht widersprochen. Schon dieser Umstand hinderte die Kammer, vom Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes auszugehen.

Ein Verwertungsverbot besteht auch dann nicht, wenn der Angeklagte – anwaltlich verteidigt – der Verwertung nicht widerspricht. Die vom BGH entwickelte Widerspruchslösung gilt auch für das hier in Rede stehende Beweisverwertungsverbot nach § 81a II StPO (Senat, Beschl. v. 09.03.2010 – 3 Ws 162/10 und v. 26.08.2010- 3 Ss 147/10; OLG Hamburg, NJW 2008, 2597). Weder reicht ein im Ermittlungsverfahren erklärter Widerspruch (BGH, NStZ 1997, 502), noch ein solcher, der im gerichtlichen Verfahren vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung (Senat, Beschl. v. 26.08.2010 aaO m. ausführlicher Begründung) oder aber nach dem in § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt, z.B. erstmals in der Berufungshauptverhandlung (vgl. BGHSt 50, 272 = NStZ 2006, 348 = StV 2006, 396; OLG Stuttgart, NStZ 1997, 405; OLG Hamburg aaO) oder nach Aufhebung Zurückverweisung in der Revisionsinstanz (BGHSt aaO) erhoben wurde, so dass die festgestellte Unterlassung der Ausübung des Widerspruchsrechts in der erstinstanzlichen Berufungshauptverhandlung das Beweisverwertungsverbot endgültig entfallen lässt.

Dies gilt – entgegen der Ansicht der Kammer – auch dann, wenn der Angeklagte wie im vorliegenden Fall in der ersten Instanz freigesprochen worden ist (OLG Stuttgart aaO; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.03.2010 – 2 (9) Ss 18/10 – juris). Denn das Gericht hat das Vorliegen eines Verwertungsverbotes nicht von Amts wegen zu überprüfen (OLG Hamburg, NJW 2008, 2597). Vielmehr unterliegt die Erhebung des Widerspruchs wie die Zustimmung zur Blutentnahme allein der Dispositionsfreiheit des Beschuldigten (OLG Hamburg aaO). Unterlässt er die Erhebung des Widerspruchs in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, so wird hierdurch die prozessuale Rechtslage dauerhaft umgestaltet (OLG Celle, Beschl. v. 11.08.2010 – 32 Ss 101/10 = BeckRs 2010, 21500; OLG Karlsruhe aaO): Der Angeklagte ist mit seinem Rügerechts endgültig präkludiert (BGHSt 50, 572; OLG Stuttgart aaO, OLG Karlsruhe aaO), das Gericht darf auch von Amtswegen nicht mehr vom Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes ausgehen (vgl. OLG Hamburg aaO).

Ferner durfte die Kammer auf der Grundlage der von ihr getroffenen Feststellungen selbst bei Annahme eines Beweiserhebungsverbotes nicht von einer willkürlichen Annahme der Voraussetzungen von Gefahr in Verzug, bzw. einer bewussten und gezielten Umgehung bzw. Ignorierung des Richtervorbehalts oder einer gleichgewichtigen gröblichen Verkennung der den Richtervorbehalt begründeten Rechtslage ausgehen (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 113, 29; BGHSt 51, 285). Ausweislich der Urteilsfeststellungen ist die Anordnung der Blutentnahme durch die Zeugin P1 erfolgt, die sich darauf verlassen hatte, dass ihr Dienstgruppenleiter, den sie per Funk verständigt hatte, eine richterliche Anordnung einholt. Da diese Polizeibeamtin die Anordnung getroffen hat und nicht der Dienstgruppenleiter, ist nicht dessen Vorstellung, auf welche die Kammer mit der tragenden Begründung, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass dieser die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung überhaupt nicht in Erwägung gezogen“ habe, ausschließlich abstellt, sondern diejenige der Zeugin P1 maßgebend. Deren bloßer Irrtum, der Dienstgruppenleiter habe die richterliche Anordnung eingeholt, vermag angesichts der – hier zweifelsfrei gegebenen – Rechtmäßigkeit des hypothetischen Ersatzeingriffs ein willkürliches Verhalten indes ebenso wenig zu begründen (OLG Frankfurt am Main [1. Strafsenat], Beschl. v. 14.10. 2009 – 1 Ss 310/09; OLG Stuttgart; NStZ 2008, 238; vgl. auch BGH, NStZ-RR 2007, 242), wie ihre fehlende Vergewisserung, die mangels gegenteiliger Feststellungen auch auf bloßer Nachlässigkeit beruhen kann, eine bewusste oder gezielte Umgehung bzw. Ignorierung des Richtervorbehalts beinhaltet.

Die fehlende Dokumentation schließlich führt allein nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (BGH, NStZ-RR 2007, 242; NStZ 2005, 392; OLG Frankfurt am Main [2.Strafsenat] aaO – jew. mwN).

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch bezüglich der Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.