Leitsatz
Die Anordnung einer Blutentnahme durch einen Polizeibeamten im Wege der Eilkompetenz ist bei irriger Annahme drohenden Beweismittelverlustes durch raschen Abbau von Betäubungsmitteln im Körper nicht willkürlich und führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 23. Juli 2007 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss berauschender Mittel zu der Geldbuße von 250 € und zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.
Es hat festgestellt:
Am 19. März 2007 gegen 18.15 Uhr führte der Betroffene auf der …in … einen Pkw, obwohl er THC-haltiges Cannabis, Amphetamine und Kokain konsumiert hatte und unter dem Einfluss dieser Drogen stand; er zitterte stark am ganzen Körper.
Bei einer polizeilichen Kontrolle um 18.15 Uhr ergab ein Drogenvortest Hinweise auf die genannten Betäubungsmittel. PM … ordnete daher eine Blutentnahme an. Nach Belehrung gab der Betroffene an, er habe am Vortag ein bis eineinhalb Joints geraucht, jedoch keine weiteren Betäubungsmittel konsumiert. Die Blutentnahme wurde um 19.01 Uhr durch einen Arzt durchgeführt. Der anordnende Polizeibeamte hatte zuvor weder den Bereitschaftsstaatsanwalt noch den Bereitschaftsrichter zu erreichen versucht, um eine richterliche Anordnung der Blutentnahme herbeizuführen. Er ging davon aus, dass die Einholung der richterlichen Anordnung zu einer zeitlichen Verzögerung geführt hätte, die den Untersuchungserfolg bei fortschreitendem Abbau der im Blut vorhandenen Drogen und Drogenderivate gefährdet hätte.
Die Untersuchung des entnommenen Blutes ergab erhebliche Mengen von Tetrahydrocannabinol, Amphetamin und Kokain sowie von deren Derivaten, insbesondere des Abbauprodukts Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure. Nach den Feststellungen hätte die richterliche Anordnung einer Blutentnahme „im Idealfall“ binnen einer viertel Stunde, also ohne nennenswerten Zeitverzug, telefonisch beim Bereitschaftsrichter erreicht werden können. Die Voraussetzungen von „Gefahr im Verzug“ lagen nicht vor. Der Bereitschaftsrichter hätte die Anordnung zur Blutentnahme getroffen.
II.
1. Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
2. Die – zulässige – Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist in der Sache nicht begründet. Er beanstandet mit der allein erhobenen Verfahrensrüge, der die Blutentnahme anordnende Polizeibeamte habe vorsätzlich die Einholung einer – wegen fehlender Einwilligung notwendigen – richterlichen Anordnung unterlassen; der schwerwiegende Verstoß gegen den Richtervorbehalt habe nicht nur zu einem Beweiserhebungsverbot, sondern auch zu einem Beweisverwertungsverbot geführt, das seinen Freispruch zur Folge haben müsse.
a) Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe zu Beweiszwecken darf nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 81 a Abs. 2 StPO nur durch den zuständigen Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung auch durch die Staatsanwaltschaft und deren Ermittlungspersonen erfolgen. Der gesetzlich angeordnete Richtervorbehalt hat seinen Grund darin, dass es sich um einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit handelt, auch wenn der Eingriff nach § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO nur durch einen Arzt im Rahmen der Regeln ärztlicher Kunst erfolgen darf.
b) Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht die materiellen Eingriffsvoraussetzungen des § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO bejaht. Der Drogenvortest war für drei Drogenarten positiv ausgefallen, der Betroffene hatte körperliche Ausfallerscheinungen, die auf Drogeneinfluss hindeuteten, und er hatte eingeräumt, mindestens einen Joint konsumiert zu haben. Der Bereitschaftsrichter hätte nach diesen Feststellungen die Anordnung zur Blutentnahme erteilen müssen.
c) Die formellen Voraussetzungen der Anordnung liegen indes nicht vor. Der Polizeibeamte hätte auch in seiner Eigenschaft als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft die Anordnung nicht erteilen dürfen, da eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung nach den Feststellungen nicht vorlag. Er hätte – im Idealfall binnen einer viertel Stunde – die richterliche Anordnung telefonisch herbeiführen können. Da sich die Notwendigkeit der Entnahme einer Blutprobe nach dem Drogenvortest gegen 18.30 Uhr erwies und die Entnahme um 19.01 Uhr erfolgte, stand sogar eine halbe Stunde zur Verfügung. Notfalls hätte, ohne den Untersuchungserfolg zu gefährden, kurzfristig zugewartet werden können, falls der Bereitschaftsrichter nicht sofort erreichbar gewesen wäre. Erst wenn dieser trotz des nachhaltigen und wiederholten Versuchs des Polizeibeamten nicht hätte befragt werden können, wäre die Anordnungskompetenz wegen Gefährdung des Untersuchungserfolgs auf den Polizeibeamten übergegangen. Da der Versuch, den Richter telefonisch zu erreichen, nicht unternommen – und daher auch nicht dokumentiert – wurde, war die von dem Polizeibeamten getroffene Anordnung rechtswidrig; es bestand insoweit ein Beweiserhebungsverbot.
d) Das Beweiserhebungsverbot hat indes – entgegen der Auffassung der Verteidigung – ein Beweisverwertungsverbot nicht zur Folge.
Die strafgerichtliche Rechtsprechung, der die Auslegung des Begriffs der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung in erster Linie obliegt (vgl. BVerfG NJW 2007, 1425), hat bisher nur in Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die auf grober Verkennung der Rechtslage beruhten, ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Sie hat dabei auf die Schwere des Eingriffs in Rechte des Betroffenen einerseits sowie auf das staatliche Ahndungsinteresse und das gefährdete Rechtsgut andererseits abgestellt, die gegeneinander abzuwägen seien (vgl. zuletzt BGH NJW 2007, 2269; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 a Rn. 32).
Diese Abwägung ergibt hier, dass – auch wenn es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr handelte – dem relativ geringfügigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch die von einem Arzt vorgenommene Blutentnahme schwerwiegende staatliche Interessen an der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG gegenüberstanden, weil der Rechtsverstoß die Verkehrssicherheit, insbesondere auch Leib und Leben Dritter, erheblich gefährden konnte; letzterer Gesichtspunkt überwog daher.
Dass der Polizeibeamte seine Einschätzung, die Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung, die auf der Befürchtung des Beweismittelverlustes durch sehr raschen Abbau der Drogen im Blut beruhte, nicht aktenmäßig dokumentiert hat, widersprach zwar der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, führte jedoch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 242; BGH NStZ 2005, 392).
Ein Beweisverwertungsverbot wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht hätte (vgl. BVerfG NJW 2007, 1425; NJW 2006, 2684; BGH NStZ-RR 2007, 242; NJW 2007, 2269). Das ist nach den Feststellungen indes nicht der Fall gewesen. Die Anordnung beruhte auf einer irrtümlichen Fehleinschätzung der für die Einholung einer richterlichen Anordnung erforderlichen Zeit und auf einer Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr im Verzug“ bzw. Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung. Der Polizeibeamte war nach den Feststellungen der Auffassung, der rasche Abbau insbesondere von Kokain im Körper dulde keine Verzögerung der Blutentnahme. Danach irrte er über die Voraussetzungen seiner Anordnungskompetenz; sein Handeln war nicht darauf ausgerichtet, eine Beweiserhebung objektiv entgegen dem Gesetz oder subjektiv unter Ausschaltung des Bereitschaftsrichters anzuordnen. Ein solcher irrtümlicher Verstoß gegen die gesetzliche Zuständigkeitsregelung führt – jedenfalls, wenn ein hypothetischer Ersatzeingriff rechtmäßig wäre – nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2007, 242; Senge in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 81 a Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 a Rn. 32).
e) Die Behauptung der Verteidigung, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommene Polizeibeamte habe bekundet, dass man es in vergleichbaren Fällen immer so mache und dass so gewonnene Ergebnisse in der Vergangenheit auch immer verwertet worden seien, richtet sich gegen die bindenden Feststellungen des Amtsgerichts und ist daher für den Bußgeldsenat unbeachtlich.
f) Die von der Verteidigung zitierte Entscheidung BVerfG NJW 2007, 1425 ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die dort von einem Staatsanwalt angeordnete Blutentnahme zum Nachweis von Cannabisbesitz wurde als – vorläufig – rechtswidrig angesehen, weil die Inanspruchnahme der Eilkompetenz nach § 81 a Abs. 2 StPO ein objektiv willkürliches Vorgehen der Polizeibeamten nahelegte, das bei der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme von beiden Instanzen übergangen worden war. Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht hingegen ein willkürliches Vorgehen des Polizeibeamten rechtlich zutreffend ausgeschlossen, weil es ihm die Annahme drohenden Beweismittelverlustes durch Verzögerung glaubte.
III.
Der Bußgeldsenat hat die Rechtsbeschwerde angesichts der vom Amtsgericht festgestellten Besonderheiten des Falles als unbegründet verworfen. Er weist jedoch darauf hin, dass in den häufig vorkommenden Fällen des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss (§§ 24 a Abs. 1 StVG, 316 StGB) die Berufung auf den drohenden Beweismittelverlust durch Verzögerung nur in wenigen Fällen Erfolg haben könnte, weil die Abbaugeschwindigkeit bei Alkohol allgemein bekannt und daher eine Rückrechnung über viele Stunden möglich ist.