Sozialgericht Berlin

Az.: S 23 R 862/17

Im Namen des Volkes

Gerichtsbescheid

ln dem Rechtsstreit
D… R…,
…str. .., 1…. Berlin,

Kläger

Proz.-Bev.:
Rechtsanwälte Borgmann, Sydow & Bothe PartG mbB,
Mehringdamm 32, 10961 Berlin,
– 16/000028 –

gegen

Deutsche Rentenversicherung Bund,
Ruhrstr. 2, 10709 Berlin,

Beklagte

hat die 23. Kammer des Sozialgerichts Berlin durch die Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht K…-E…, am 20. Juni 2018 für Recht erkannt:

Der Bescheid der Beklagte vom 05. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Verrechnung von Beitragsschulden bei seiner Krankenkasse gegen seine laufende Altersrente.

Der Kläger ist am … Oktober 1950 geboren. Er bezieht von der Beklagten seit November 2015 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nebst Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung (Bescheide vom 21. Oktober und 11. November 2015 – 842,56 Euro per November 2015 bzw. 1.01 0, 70 Euro per Dezember 2015). Unter Hinweis auf Verrechnungsersuchen der AOK Nordost über 52.944,03 Euro an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen (einschließlich Säumniszuschlägen, Kosten und Gebühren) sowie der BKK VBU über 3.626,91 (einschließlich Säumniszuschlägen, Kosten und Gebühren) hörte die Beklagte den Kläger unter dem 18. November 2015 zu einer Einbehaltung von 450 Euro monatlich aus seiner laufenden Rente an und wies u. a. darauf hin, dass eine Verrechnung ausgeschlossen sei, wenn der Kläger dadurch hilfebedürftig im Sinne der Sozialhilfevorschriften werde, dies sei gegebenenfalls durch Vorlage einer Bedarfsbescheinigung des zuständigen Sozialhilfeträgers nachzuweisen. Nachdem die Ehefrau des Klägers telefonisch mitgeteilt hatte, dass weder das Bürgeramt noch die Agentur für Arbeit sich für die Ausstellung der Bedarfsbescheinigung zuständig erklärt hätten, übersandte die Beklagte dem Kläger einen Vordruck zur Darstellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse, die dieser am 21. Dezember 2015 ausgefüllt zurücksandte.

Die Beklagte errechnete nach Korrektur des vom Kläger eingetragenen Rentenbetrages daraus einen Überschuss in Höhe von 162,22 Euro monatlich und verrechnete mit Bescheid vom 05. Januar 2016 ab Februar 2016 monatlich 150 Euro der rückständigen Beitragsforderung gegen die laufende Altersrente. Sie führte weiter aus, sie habe bei dieser Entscheidung weder ihr Ermessen missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung beziehungsweise Verrechnung fehlerhaft angewandt. Hiergegen widersprach der Kläger am 04. Februar 2016 und machte geltend, ein Einnahmeüberschuss von 162,22 Euro bestehe nicht. Vielmehr verbleibe angesichts des Regelbedarfs von 728,00 Euro für zwei Personen und der Unterkunftskosten von 510,00 Euro keinerlei Überschuss. Nach erneutem Hinweis der Beklagten auf die Obliegenheit zur Einreichung einer Bedarfsbescheinigung und darauf, dass selbst bei dem angegebenen geringeren Einkommen der Ehefrau des Klägers ihrer Ansicht nach eine Verrechnung in Höhe von 137,12 Euro in Betracht komme, teilte der Bevollmächtigte des Klägers unter dem 31. März 2016 mit, es werde bis zum 28. April 2016 eine Bedarfsbescheinigung vorgelegt. Nachdem der Kläger den angekündigten Zeitpunkt für die Vorlage der Bescheinigung mehrfach verschoben hatte, ohne dass diese bei der Beklagten einging, wies die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 2017 den Widerspruch zurück. Sie führte darin u. a. aus, gegen die Rente des Klägers in Höhe von 1.068,42 Euro monatlich würden monatlich 150,00 Euro verrechnet. Über den Zeitpunkt der Zahlungsänderung erhalte der Kläger gesondert Mitteilung. Durch die Verrechnung werde der Kläger nicht hilfebedürftig nach dem Vorschriften des SGB XII bzw. SGB II, denn die Darstellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse habe einen Einnahmenüberschuss von 162,22 Euro ergeben; die Verrechnung von 150 Euro monatlich sei daher zumutbar. Eine Bedarfsbescheinigung habe der Kläger nicht vorgelegt. Sie wiederholte ihr Vorbringen aus dem Ausgangsbescheid, wonach sie weder ihr Ermessen missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung bzw. Verrechnung fehlerhaft angewandt habe.

Dagegen richtet sich die Klage vom 23. März 2017, mit der der Kläger sich weiter gegen die Verrechnung wendet und an seinem Vorbringen festhält, es bestehe kein Einkommensüberschuss. Einem Gesamteinkommen von 1.397,52 Euro ständen Ausgaben für Unterkunft und Krankenversicherung in Höhe von 560,40 Euro bzw. 179,00 Euro und der gemeinsame Regelbedarf der Eheleute von 736 Euro gegenüber.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 05. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2017 aufzuheben,
hilfsweise die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Beklagte hat auf Bitte des Gerichts die bislang erteilten Rentenbescheide des Klägers übersandt und mitgeteilt, dass die Altersrente ab 01. Juli 2017 1.14,90 Euro netto beträgt. Der Kläger hat auf Anforderung des Gerichts mit Schriftsatz vom 19. Juli 2017 Aufstellungen über Einnahmen und Ausgaben für den Zeitraum von Februar 2016 bis Juni 2017 von sich und seiner Ehefrau sowie Ablichtungen von deren Kontoauszügen, Gehaltsabrechnungen und eines Bewilligungsbescheides von Arbeitslosengeld vom 18. April 2017 eingereicht. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, eine Erklärung des Schuldners über seine Einkommensverhältnisse sei für die Beweisführung nicht ausreichend. Der bevorzugte Beweis der Hilfebedürftigkeit im Sinne von SGB XII bzw. SGB II könne nur durch eine Bedarfsbescheinigung des örtlich zuständigen Trägers geführt werden.

Unter dem 03. Januar 2018 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensentscheidung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden bestehen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise vorher gehört worden.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, denn diese sind unrechtmäßig und verletzen ihn in seinen Rechten.

Gemäß § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers – nach vorheriger Anhörung – dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Die Verrechnung stellt damit eine Aufrechnung unter Verzicht auf die Gegenseitigkeit von Schuldner und Gläubiger dar. Die Entscheidung über die Verrechnung hat der Leistungsträger, hier die Beklagte, nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, wobei die Verhältnisse des Einzelfalles maßgebend sind. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Art der Forderung und ihr Zustandekommen sowie die finanziellen und sonstigen Verhältnisse des Schuldners, wobei die Ermessenausübung im Verrechnungsbescheid zum Ausdruck kommen muss. Zum einen muss erkennbar sein, dass überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen werden sollte und zum anderen müssen die Gesichtspunkte angegeben sein, von denen die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. BSG vom 14. November 1985 – 7 Rar 123/84 = SozR 1300 § 45 Nr. 9; Urteil vom 24. Februar 1987 – 11 b RAr 24/86 = SozR 1300 § 35 N5. 3). Die Ermessenausübung bedeutet unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalles eine Abwägung zwischen den Interessen des Einzelnen und denen der Versichertengemeinschaft.

Zwar hat die Beklagte vorliegend erkannt, dass es sich bei ihrer Verrechnungsentscheidung um eine in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehende Entscheidung handelt, indessen hat sie ihr Ermessen nicht ausgeübt. Insoweit hat sie sowohl im Ausgangs- als auch im Widerspruchsbescheid lediglich ausgeführt, sie habe ihr Ermessen weder missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Verrechnung fehlerhaft angewandt. Welche Gesichtspunkte sie bei ihrer Ermessensentscheidung abgewogen haben will, wird jedoch nicht genannt und auch eine eventuelle Gewichtung der für oder gegen die Verrechnung sprechenden Argumente ist nicht ersichtlich, was jedoch erforderlich ist (vgl. Engelmann in: von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 8. Auflage 2014, RdNrn. 6 bis 8 zu§ 35 mit weiteren Nachweisen). Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 16. Januar 2018 geltend macht, sie habe die Höhe der Forderungen der Krankenkassen und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers gegeneinander abgewogen, ergibt sich hierfür aus den angefochtenen Bescheiden nichts. Die Forderungshöhe wird lediglich benannt und es wird ein Einnahmeüberschuss von 162,22 Euro benannt, der als Argument dafür ins Feld geführt wird, dass eine Hilfebedürftigkeit des Klägers durch die Verrechnung nicht eintreten wird. Damit ist jedoch eine nachvollziehbare Ermessensentscheidung nicht getroffen worden; es liegt ein Fall des Ermessensausfalls vor, der auch im Gerichtsverfahren nicht mehr gemäß § 41 SGB X geheilt werden kann (vgl. Schütze in: von Wulffen, am angegebenen Ort, RdNr. 11 zu § 41 mit weiteren Nachweisen).

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG.